Zeitenwende bei Nutzfahrzeugen -
Beobachtungen bei einem Besuch auf der IAA

Die IAA 2022, internationale Leitmesse im Bereich Nutzfahrzeuge, steht wie kaum eine andere Messe im Wandel der Zeit. Die Nutzfahrzeugbranche steht vor einem Umbruch, den es wohl so noch nie gegeben hat. Klimaziele und Abgasvorschriften zwingen die Hersteller zum rapiden Umdenken und zum Umstellen ihres Portfolios. Aber auch die Kundenseite übt massiven Druck auf die Hersteller aus, da Kraftstoffpreise, Wettbewerbsfähigkeit und mangelnde Planungssicherheit zunehmend belasten. Anders als im PKW-Sektor, bei dem schon seit Jahren alternative Kraftstoffe und Antriebsarten im Markt angeboten werden, ist der Dieselverbrennungsmotor im Nutzfahrzeugsektor bisher alternativlos.

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Der Fokus auf der IAA
Die Messe war extrem auf alternative Antriebe fokussiert. Alle großen und namhaften LKW-Hersteller hatten Fahrzeuge mit E-, CNG-, oder Wasserstoff-Antrieb ausgestellt. Natürlich waren auch noch Dieselfahrzeuge vorhanden, allerdings galt die Aufmerksamkeit ganz klar den neuen Antriebskonzepten, die beim Publikum auf enormes Interesse stießen. Fachlich bedingt haben wir speziell den Bereich 'Wasserstoff-Antriebe' genauer unter die Lupe genommen und bei den einzelnen Herstellern dazu folgende Beobachtungen gemacht:

Große Reichweite mit Flüssiggas - Daimler
Ausgestellt wurde ein Mercedes Actros H2 long range. Das Fahrzeug ist konzipiert für den Fernverkehr mit einer Reichweite von mehr als 1000 km. Das Speicherkonzept sieht eine flüssige Betankung und Speicherung von 80kg Wasserstoff bei einer Medientemperatur von -253 °C vor.
Bei der Antriebseinheit kommt ein Verdampfer zum Einsatz, mit dem eine Brennstoffzelle betrieben wird. Es fällt auf, dass der Truck mit einer Brennstoffzelle betrieben wird, wohingegen Daimler sich in den Medien eigentlich eher zum Thema Wasserstoff-Verbrennungsmotor bekannt hat. Gebaut werden die Trucks im Werk Wörth, entwickelt in Untertürkheim. Das System hat Komponenten von Swagelok bei der Verrohrung integriert.

Power für den Warenverteil- und Lastverkehr - Enginius (Faun-Group)
Enginius gehört zur Faun Gruppe, die bekannt für Ihre Müllfahrzeuge ist. Als eingetragener Fahrzeughersteller bekommt Enginius die Basisfahrzeuge von Daimler und setzt die Daimler Baureihen Econic und Atego mit 700 bar Wasserstoff Speichertechnik für den Warenverteil- und Lastverkehr ein. Die Fahrzeuge werden immer elektrisch betrieben, entweder batterieelektrisch oder mit Wasserstoff und Brennstoffzelle und haben eine Reichweite bis 500 km. Bisher wurden ca. 100 Fahrzeuge ausgeliefert - Tendenz stark steigend. Die Fertigungskapazität wird ausgebaut. Auch hier wird Swagelok-Technik bei der Verrohrung eingesetzt.

Umbau von Diesel zu Wasserstoff - Quantron, Hyzon-Motors, KEYOU
Quantron bietet den Umbau von konventionellen Verbrennungsmotoren auf batterieelektrische oder Wasserstoff-Antriebe mit Brennstoffzelle an. Verwendet werden Iveco Daily und MAN TGX Modelle. Gezeigt wurde ein Bus (Prototyp), ein Daily H2 350bar, ein MAN TGX E Modell und ein MAN TGX H2 700bar. Die Verrohrung wurde mit Swagelok ausgeführt, die Tanks sind von Nproxx.
Hyzon Motors ist eingetragener Fahrzeughersteller aus den Niederlanden und verwendet bisher ausschließlich DAF LKW’s (EU). Hyzon Motors gilt als einer der am schnellsten expandierenden Wasserstoff LKW Aufbauer. Technische Basis ist die gasförmige Speicherung von aktuell 350 bar Wasserstoff mit einer Brennstoffzelle für den Antrieb. Bereits für 2023 sind mehrere hundert bzw. tausend Fahrzeuge geplant.
KEYOU hat sich auf die Umrüstung von Dieselmotoren auf Wasserstoffbetrieb spezialisiert. Gezeigt wurden jeweils ein Truck und ein Bus, die als Prototypen von Paul Nutzfahrzeuge aufgebaut wurden. Aktuell befinden sich die Prototypen im Feldtest. Wesentliche Bereiche wurden hierbei mit Swagelok-Komponenten und -Baugruppen aufgebaut.

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Flexibel mit modularen Tanksystemen - IVECO, VOITH
Bei IVECO war ein Daily 700 bar Wasserstoff-Konzeptfahrzeug mit 6 installierten Tanks, von denen jeweils die 3 vorderen und die 3 hinteren Tanks getrennt befüllt werden können.
VOITH zeigt Entwicklungen im Bereich von modularen Tanksystemen in Form von Wasserstoff-Flaschenpaketen, die hinter dem Fahrerhaus des Fahrzeugs angebracht werden. Die Technik beruht auf einem 700 bar-System, das sich derzeit noch im Prototypen-Stadium befindet. Swagelok ist hierbei in der engeren Wahl, was die Verrohrung betrifft.

Start-Ups mit Potential - Nikola Motor Company, HYVIA
Nikola ist ein Startup in der Branche, das marketingmäßig, ähnlich wie Tesla stark gepushed wird. In einem Joint Venture mit Bosch und IVECO sollen Brennstoffzelle und zugehöriges Equipment von Bosch zugeliefert werden und der Bau des Wasserstoff-Trucks bei IVECO in Ulm erfolgen. Zu sehen waren ein batterieelektrisch betriebener LKW sowie ein LKW mit Brennstoffzellen-Antrieb.
HYVIA - Ein weiteres Startup, das als ein Ableger des Renault-Konzerns entstanden ist. HYVIA ist im Transporterbereich tätig und fertigt in Kleinserien. Es werden sowohl 350 bar- als auch 700 bar-Varianten angeboten.

Fazit und Vergleich
Die IAA 2022 war sehr gut besucht, das Interesse an alternativen Antrieben war immens groß. Das Entwicklungstempo wird weiter zulegen und das Fahrzeugangebot am Markt entsprechend größer werden. Eine generelle Aussage, welche Technologie das Rennen machen wird, lässt sich zwar nicht treffen. Man kann davon ausgehen, dass mehrere Technologien, abhängig der Applikation und vorhandenen Infrastruktur, parallel nebeneinander existieren werden.

Speicherung von Wasserstoff - gasförmig vs. flüssig/tiefkalt

Gasförmig, hochverdichtet bei Drücken von 350 und 700 bar, ist für Wasserstoff die entsprechende Infrastruktur weitgehend vorhanden. Die Technik an der Tankstelle und im Fahrzeug ist mittlerweile bewährt und es haben sich ‚Standards‘ am Markt etabliert.
Nachteil ist der niedrige Energiewert, der mitgeführt wird. Dies macht Tanks mit entsprechend großem Platzbedarf erforderlich oder begrenzt die Reichweite des Fahrzeugs. Tankstellen, an denen Trucks betankt werden sollen müssen in der Konsequenz großdimensioniert ausgelegt sein, um die erforderlichen Abnahmemengen erbringen zu können. Aktuell am Markt befindliche Wasserstoff-Tankstellen in üblicher Größe sind aus diesen Gründen nur für die PKW-Betankung geeignet.

Flüssige Speicherung ist vorteilhaft für Langstrecken LKW‘s und Busse. Durch die flüssige und tiefkalte Speicherung wird die Wasserstoff-Dichte fast verdoppelt. Mit normalen Tankgrößen sind dann mehr als 1000 km Reichweite erzielbar. Allerdings ist der Aufwand, hinsichtlich der kalten Lagerung, der an der Tankstelle bzw. am Fahrzeug umgesetzt werden muss, größer als bei der gasförmigen Speicherung. Dafür sind die erforderlichen Drücke mit 10 bar deutlich niedriger. Das Szenario bei Daimler, die auf die flüssige Speicherung am Truck setzen, sieht vor, dass Wasserstoff-Flüssiggastankstellen bei Betriebshöfen und an Autobahnschnittstellen entstehen. Hier arbeitet Daimler z.B. mit Shell zusammen, um eine entsprechende Infrastruktur aufzubauen.

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